Brief des scheidenden Pfarrers Dr. Stefan Rau an die Menschen in St. Joseph Münster-Süd

Liebe Mitchristen in unserer Pfarrei St. Joseph Münster-Süd, liebe Kolleginnen und Kollegen in unseren Kirchen, Gemeindehäusern, Kitas, TOTs, Büros, liebe ehrenamtlich Mitarbeitende in so vielen Gremien, Initiativen und Projekten!

Weihnachten ist Jesus geboren und es gibt Geschenke,

Ostern kommen mit dem Frühling die Hasen und Jesus ist auferstanden,

Pfingsten???

Für viele Menschen in Deutschland ist das Pfingstfest, das jetzt vor uns liegt, ein großes Fragezeichen, einfach ein langes Wochenende. Für mich ist dieses Pfingstfest 2022 ein ganz besonderes:

Ich werde mich nach 20 Jahren hier als Pfarrer verabschieden.

 

Ich tue das, wie man so sagt, mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Im Rückblick auf die Jahre seit 2002 denke ich an so viele Begegnun­gen und Projekte: herausfordernde und bereichernde, einmalige und dauerhafte, liturgische und caritative, ganz einfache und hochkomplexe, künstlerische und lebenspraktische, im pastoralen Pflichtprogramm oder Kürbereich, bei Festen und Sitzungen, mit Ehren- oder Hauptamtlichen, aus frohen und traurigen Anlässen.

Für die vielen Erfahrungen bin ich außerordentlich dankbar!

Dabei habe ich immer wieder erfahren und gelernt: Es ist gut, Visionen und Ziele zu haben, aber vergiss die Rezepte!

Jedes Taufgespräch und jede Beerdigung ist anders, jede Gemeinde und Kita hat ihre Geschichte und ihren „Geist“, jeder Gottesdienst und jedes geistliche Gespräch ist einmalig. Es gibt nicht den einen Lebens- und Glaubensweg, weil eben alle Menschen unterschiedlich bzw. jeder Mensch ein Unikat ist – übrigens auch Erzieher*innen, Pastoralreferent*innen und Priester ...

Mir war wichtig, in dieser Pfarrei für diese Vielfalt der Charismen, Erwar­tungen und Möglichkeiten Raum zu schaffen – nicht für eine nostalgische, heute unrealistische „Pfarrfamilie“, sondern in dynamischen Gemeinden, geistlichen Lebensräumen mit Christus in der Mitte.

In diesen 20 Jahren gab es drei große Themen, die mich persönlich „außerordentlich“, weit über die ordentliche, normale Seelsorge und Pastoral hinaus, beschäftigt haben:

Fusionen – Missbrauch – Corona.

So in einem Satz nebeneinander klingt das sehr unangemessen, aber mir scheinen diese drei völlig unterschiedlichen Phänomene tatsächlich Krisen zu kennzeichnen, die auch unsere Pfarrei im neuen Jahrtausend geprägt haben und weiter bewegen werden.

 

1. Die 20 Jahre hier waren für mich auch bestimmt von ununterbrochenen Prozessen zu immer neuen Kooperationen und Fusionen: 2002 wurde ich zum Pfarrer in St. Joseph ernannt – einer Pfarrei mit 4.000 Gläubigen, einer Pastoralreferentin, einem Subsidiar, einer Kirche, einem Pfarrbüro, einem Pfarrheim und zwei Kindergärten. Daraus wurde dann 2003 die Seelsorge­einheit Münster-Süd, 2008 die Fusion St. Antonius / St. Joseph, 2010 der Strukturplan des Bistums und damit zwei Jahre Gespräche St. Joseph / St. Stephanus, 2013 die Fusion St. Joseph / Heilig Geist zur „Katholischen Kirchengemeinde St. Joseph Münster-Süd“, 2020 die Fusion mit St. Gottfried / St. Maximilian Kolbe – nun mit etwa 22.000 Gläubigen und 150 Mitarbeitenden.

Umbrüche und Abbrüche auf praktisch allen Feldern bisheriger Glaubens­praxis machen solche Veränderungen nötig – und lassen uns sicher auch in Zukunft immer wieder neu fragen:

Wie können wir heute mit den ganz normalen Menschen hier in Münsters Südstadt unsere Überzeugung und Hoffnung teilen, dass Gott jeden Menschen sieht und seinen Weg segnet, dass Jesus Christus uns als Bruder begleitet vom ersten bis über den letzten Atemzug, dass Gottes Geist uns befähigt und antreibt zu Einheit in Vielfalt, zu Entschiedenheit und Toleranz?

Auf diesem Weg zu einer heutigen Gemeinde habe ich persönlich immer wieder Neues entdeckt und gelernt, z.B.

  • die saubere Unterscheidung zwischen Pfarrei (Organisationsformat mit Rechten und Pflichten) und ihren Gemeinden (aus mündigen getauften und gefirmten Christ*innen, sich dauernd verändernd, immer auf dem Weg, engagiert und lebendig …);
  • dank eines Kita-Projektes die Wahrnehmung so vieler „Lebensorte des Glaubens“ in unserer Pfarrei – auch neben unseren Kirchen und Gemeindehäusern;
  • die ungeheure Bandbreite der Vorstellungen von Gläubigen, was eine (für sie) gute Gemeinde, gute Seelsorge, gute Liturgie, gute Leitung ist – und damit die riesigen Chancen begleitender Menschensorge an den Knotenpunkten des Lebens.

 

2. Mit der Initiative von P. Klaus Mertes SJ im Canisius-Kolleg in Berlin im Januar 2010 ist in der katholischen Kirche Deutschlands ein Prozess in Gang gesetzt worden, um sexuelle Gewalt in der Kirche aufzudecken, das unglaubliche Leid von Opfern anzuerkennen und verantwortliche Täter und Vertuscher zur Rechenschaft zu ziehen. Mir persönlich wird heute in einer Gottesdienstgemeinde, einer Schulklasse oder einer Seniorenversammlung immer wieder bewusst, dass statistisch jedes vierte Mädchen und jeder zwölfte Junge in seinem Leben zum Missbrauchsopfer wird …

Nach einer Missbrauch verharmlosenden Predigt und folgenden Protesten haben wir uns in unserer Pfarrei in verschiedensten Formaten mit dieser Thematik intensiv beschäftigt. Heute ist es selbstverständlich, dass alle mit Kindern und Jugendlichen Beschäftigten regelmäßig an Präventionsschu­lungen teilnehmen und Interventionswege eingerichtet und kommuniziert sind. So arbeiten wir intensiv daran mit, dass in der Kirche und unserer Pfarrei mit ihren Einrichtungen gilt: „Nie wieder!“

 

3. Die letzten beiden Jahre hat die Corona-Pandemie unser Leben und Arbeiten dramatisch bestimmt und eingeschränkt: Bei jeder Planung der Vorbehalt: „… wenn es die Inzidenzzahlen erlauben“, immer die Frage:

„… mit Maske? Mit Impfnachweis? 2-G- oder 3-G-Regel?“

Ostern 2020: Menschen rüttelten an den verschlossenen Kirchtüren, durften im gesetzlichen Lockdown nicht die Auferstehung feiern.

Fusion St. Gottfried / St. Maximilian mit St. Joseph Münster-Süd:

ohne Fusionsfest, ohne gemeinsames Wochenende der Gremien, ohne persönliches Kennenlernen.

Nichts und niemand blieb von der Pandemie unberührt: Familien und Singles, Arbeitnehmer und Rentner, Arbeit und Urlaub, Kitas und

Büchereien, Erstkommunion und Seniorentreffen – Corona bestimmt so Vieles und auch manche Werte neu. Ich möchte Ihnen danken für Ihr Verständnis bei manchem Unsicheren, Umplanen und Improvisieren.

 

Liebe Mitchristen,

ich persönlich mag das Pfingstfest sehr, es schützt uns und mich vor Selbstüberschätzung. Wir können und sollen in Gemeinden und Kirche Vieles probieren, reflektieren, diskutieren, evaluieren, strukturieren, …

Letztlich aber dient das alles einem Ziel: Gottes Geist Raum zu schaffen, Glauben konkrete Lebensformen zu ermöglichen. Man hat Pfingsten den „Geburtstag der Kirche“ genannt, ich möchte dieses Fest etwas prosaischer das „Kraftwerk unseres Glaubens“ nennen, und dabei ist der Kraftwerk­betreiber Gott, der seinen Lebensstrom verschenkt!

Ohne diese Überzeugung hätte ich nicht Priester werden können, hätte ich hier nicht 20 Jahre mit Ihnen und für Sie Pfarrer sein können. Und in diesem Glauben kann ich mich an Pfingsten nun auch sehr dankbar, ein bisschen wehmütig, aber auch zukunftsfroh aus St. Joseph Münster-Süd verabschieden.

Ich freue mich, wenn wir am Pfingstsonntag um 11.00 Uhr in der Josephs-Kirche noch einmal gemeinsam Gottesdienst feiern und uns anschließend auch persönlich verabschieden können!

 

Sie wissen, dass mir die Feier einer sorgfältig und sinnvoll gestalteten Liturgie in allen ihren Elementen ein Herzensanliegen ist, zu deren Facetten unbedingt auch die Musik gehört. Mit ihr ist es wie mit allen Elementen der Kultur wie Kunst, Literatur, Theater, Tanz, Kino, Sport, und auch der Religion: Man braucht sie nicht zwingend zum Überleben, aber mit ihnen fängt das Leben an zu glänzen und zu schwingen! So wünsche ich Ihnen und uns mit einem Liedvers aus dem Gotteslob:

 

„Sollten wir verzagen? Seine Schar verlässt er nicht!
Und in dieser Zuversicht darfs sie’s fröhlich wagen.“

 

Gott segne Sie, Ihr Stefan Rau

 

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